Was die Leute so alles glauben und warum ich mich zu einem eigenen Glauben an Jesus durchringen muss
Pastorin Luitgardis Parasie predigt in Sankt Michael
Am Sonntagabend predigte im Rahmen des Kanzeltausches Luitgardis Parasie in Sankt Michael. Sie ist Pfarrerin in Langenholtensen bei Northeim. Mancher kennt sie auch von ihren "Gewissensfragen", die sie beim NDR regelmäßig beantwortet.
Frau Parasie war nicht alleine: Eine ganze Gruppe ihrer Gemeinde war ins katholische Michael gekommen, um ihrer Pastorin Rückenwind zu geben. Inhaltlich stellte sich Frau Parasie den selben Texten (Phil 3,7-16; Mt 16,13-18), wie schon P. Hösl SJ einen Monat vorher in Langenholtensen.
In ihrer Ansprache nahm Frau Parasie das Zentrum unseres gemeinsamen Christenglaubens ins Visier: die Person des Jesus Christus. Über ihn waren - siehe das Evangelium - schon zu dessen Lebzeiten die Meinungen gespalten: Die einen hielten ihn für einen Gottesverkünder vom Schlag der alten Propheten, andere für einen neuen Johannes den Täufer, usw. Sicher hätte man heute andere Bezeichnungen, aber von der Sache her dürften die heutigen Umfrageergebnisse nicht so ganz anders sein.
Und all diese Wertungen sind ja auch nicht schlecht! Das sind ja Hoch- und Wertschätzungen! Letztlich freilich, so die Predigerin, gilt es für jeden Christen doch die Frage Jesu an seine Jünger zu beantworten: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Es geht letztlich um das persönliche Bekenntnis und hier ist das Bekenntnis des Simon Petrus (Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!) die Marschroute. Die Latte liegt somit hoch! Aber es geht nicht darum Jesus einfach "toll" zu finden, sondern in eine Beziehung der Nachfolge einzutreten. In ihrem eigenen Fall war es eine MatheNachhilfelehrerin gewesen, die sie zur Beantwortung dieser Frage anstieß.
Nach dem Gottesdienst, den Thomas Klingebiel an der Orgel begleitete, gab es einen Dämmerschoppen, zu dem jeder und jede gehalten war eine ihm / ihr fremde Person einzuladen und mitzunehmen. Dort trafen dann Langenholtenser und Michaelaner im Gespräch aufeinander, nebst einigen Interessierten aus ganz Göttingen. Herzlichen Dank an Frau Pastorin Parasie und ihre sympathische Supporter Crew...
Hier die Predigt von Frau Parasie im Wortlaut:
Predigt von Pastorin Luitgardis Parasie
über Matth. 16, 13-18 am 6.3.2016 in St. Michael, Göttingen
Liebe katholische und evangelische Freunde,
ich fühle mich geehrt, dass ich als Pastorin eines kleinen Dorfes bei Northeim hier in dieser schicken Göttinger Citykirche predigen darf. Als ich die Anfrage von Pater Hösl bekam, bin ich mit meinem Mann erst mal sozusagen undercover hier in die Abendmesse gegangen. Und wir waren beide sehr beeindruckt. Von dem ultramodernen Kircheninnenraum und von der geistlichen Ausstrahlung des Gottesdienstes. Zu Beginn dieses Jahres hab ich dann meinen Kirchenvorstand hierhingeschleppt und Pater Hösl hat uns die Kirche erklärt. Wow. „Das ist die ökumenische Kirche des 21. Jahrhunderts“, sagte einer der Teilnehmer. In der Tat. Hier gibt es eigentlich nichts, was Protestanten abschrecken könnte. Was mich aber am meisten beeindruckt hat, ist die theologische Begründung: Hier soll Christus im Zentrum stehen, der Gekreuzigte und Auferstandene – er ist das Zentrum unseres Glaubens, und es soll einfach nicht alles mögliche in der Kirche herumstehen, was davon ablenkt. Welcher gläubigen Protestantin geht da nicht das Herz auf?
Anfang Februar war Pater Hösl dann in unserer Kirche in Langenholtensen, und er hat über einen zentralen Bibeltext gepredigt, in dem Christus im Mittelpunkt steht. Das Christusbekenntnis des Petrus. Ich finde es ganz passend, wenn ich heute hier über den gleichen Text predige. Er steht im Matthäus 16, 13-18 und wir hören uns den jetzt an.
- Lesung Bibeltext -
"Was sagen die Leute über mich?" fragt Jesus seine Jünger. Ich finde es erstaunlich, dass er sich dafür interessiert: Was sagen die Leute? – Sie hier in St. Michael müssen sich seit einiger Zeit ständig mit dieser Frage auseinandersetzen, denn die Leute sagen alles Mögliche über diese radikale Innenrenovierung, und die Meinungen gehen weit auseinander. Was sagen die Leute? Bei uns auf dem Dorf spielt das ebenfalls eine große Rolle. Und in der Tat, wir leben nicht allein auf einer einsamen Insel. Jeder bewegt sich in einer bestimmten Gemeinschaft, in der Familie, im Beruf, unter den Nachbarn, im Freundeskreis. Da gibt es Erwartungen und Regeln, an die man sich zu halten hat. Wenn man dagegen verstößt, kriegt man Ärger. Und wenn man als Neubürger oder neue Pastorin in so einen Ort kommt und kennt diese ungeschriebenen Gesetze nicht, kann man ganz schön ins Fettnäpfchen treten.
Manchmal ist es natürlich schrecklich abwegig, was die Leute sagen. Da fliegt ein deutscher Bischof nach Amerika, und vor der Reise warnen ihn die Kollegen: "Pass bloß auf, was du da sagst, die Reporter drehen dir jedes Wort im Mund herum." In New York wird der Bischof sofort von einer Schar von Reportern umringt, und einer fragt ihn dreist: "Herr Bischof, werden Sie in dieser Stadt auch einen Nachtclub besuchen?" Tja, was soll er darauf sagen, also, denkt der Bischof, stellst du dich möglichst dumm, und er fragt: "Gibt es denn hier Nachtclubs?" - Am nächsten Tag große Schlagzeile in der Zeitung: "Erste Frage des Bischofs in Amerika: Gibt es hier Nachtclubs?“ – Tja, was die Leute sagen, kann sehr fragwürdig sein, und manchmal drehen sie einem eben auch das Wort im Munde herum.
Trotzdem, bis zu einem gewissen Grade ist es wichtig, darauf zu achten, was "die Leute" sagen. Genau deshalb machen Sie ja hier in St. Michael die Kirchenführungen, um die Leute mitzunehmen bei der neuen Gestaltung der Kirche. Aber: Es gibt Situationen, da spürt man ganz genau: Es spielt jetzt keine Rolle, was die Leute denken, diese Sache muss ich ganz für mich allein entscheiden. Das ist eine Gewissensfrage. Vorwiegend bei solchen Fragen ist das so, die an den Nerv unserer Existenz gehen.
"Was sagen die Leute über mich?" Das fragt Jesus seine Freunde. Und dann zählen die Jünger auf, und sie nennen durchweg respektable Ansichten über Jesus: "Sie sagen, du bist so jemand wie der heilige Franziskus, oder wie Mutter Theresa, oder Martin Luther King." Jesus kann zufrieden sein, denn er ist offenbar sehr anerkannt. Aber diese Antwort genügt ihm nicht, denn dann will er von seinen Freunden wissen: "Und was sagt ihr, wer ich bin?"
"Wie stehst du zu Jesus?" hat mich, damals war ich 17, eine junge Frau gefragt. Diese Frage hat mich irgendwie erwischt. Ich konnte sie zu dem Zeitpunkt nicht beantworten, aber eins wusste ich ganz genau: Mein Verhältnis zu Jesus ist ungeklärt. Eigentlich will ich möglichst wenig mit ihm zu tun haben. Diese Freundin, es war meine Mathe Nachhilfelehrerin, erzählte mir, wie sie zu Jesus betet, wie er durch die Bibel zu ihr spricht, und wie sie ihn in ihren Alltag einbezieht. Ich hatte so was noch nie so direkt gehört und war ziemlich befremdet, aber gleichzeitig spürte ich irgendwie: Das mit Jesus ist eine zentrale Sache, da entscheidet sich Wesentliches.
Es gibt Punkte im Leben, da bist du selbst gefragt. Da kannst du nicht ausweichen; da zählt nicht die Meinung "der Leute", ja nicht einmal die Meinung deiner Familie oder deines Partners, da geht es nur um deine eigene Entscheidung.
„Was sagt ihr, wer ich bin?“ fragt Jesus. Ist das wirklich DIE Frage? Uns interessieren doch ganz andere Fragen: Wie kommen wir in Europa mit den Flüchtlingen klar? Wie können wir Fluchtursachen bekämpfen? Oder die Amerikaner mit ihrem Präsidentenwahlkampf – verliert ein Teil des Volkes gerade kollektiv den Verstand? Und im privaten Bereich: Wie soll ich mit meiner schlimmen Krebsdiagnose fertigwerden? Wie kriege ich meine angeschlagene Ehe wieder in Ordnung? Solche Fragen treiben Menschen um. "Wie stehst du zu Jesus?" ist eigentlich nicht die Frage, die viele nun gerade vom Hocker reißt.
Und doch stehen dahinter oft zentrale Fragen unserer Existenz: Wohin gehöre ich? Was ist mein Platz auf dieser Welt? Wohin gehe ich? Diese Fragen allerdings berühren die eine Frage: Wie stehst du zu Jesus?
Da sind die Freunde von Jesus monatelang mit ihm durch Israel gezogen, sie haben miterlebt, wie er Menschen gesund machte, wie er Predigten hielt über das Reich Gottes, wie er sich mit Huren und Verbrechern an einen Tisch setzte, wie er mit den Frommen und den Intellektuellen diskutierte, aber was sahen sie denn da? Einen Menschen mit besonderen Fähigkeiten und provozierenden Ansichten, einen außergewöhnlichen Mann. Jesus war etwas Besonderes, das sagen auch heute viele. Wir haben in Northeim etliche Freunde, die bezeichnen sich als erklärte Atheisten, aber dem würden sie alle zustimmen: Jesus war ein guter Mensch, ein Vorbild für Nächstenliebe, für Gewaltlosigkeit. Da sind sich alle einig, Christen, Juden, Moslems, Buddhisten. Doch damit haben sie das Wesentliche nicht begriffen. Jesus fragt dich: Und du, wie stehst du zu mir? Aus Petrus bricht es heraus: Du bist Christus, Sohn des lebendigen Gottes. Du hast Worte des ewigen Lebens.
Petrus hat es einfach gepackt, da ist etwas passiert in seinem Herzen, das hat ihn überwältigt. Er hat begriffen: Jesus ist mehr als ein guter Mensch, er ist der Sohn Gottes, er gibt ewiges Leben. Christus, der von Gott Gesalbte, für uns auf die Erde geschickt. Er ist die Brücke zu Gott, der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wir leben hier in Stadt und Region Göttingen, einer weltoffenen, toleranten Unistadt, das ist toll, und ich bin echt froh, dass ich momentan nicht in bestimmten anderen Städten Deutschlands lebe. Aber Toleranz heißt ja nicht, dass man keine Unterschiede benennen darf. Das nämlich gibt es in keiner anderen Religion, das ist unser Alleinstellungsmerkmal, ein Gott, der sich so weit herunterbeugt, um dir die Hand zu reichen und dich an sein Herz zu ziehen. „One way, Jesus“ ist eins der Lieblingslieder unserer Konfirmanden. „ You’re the only one that I could live for“ – du bist der einzige, für den es sich zu leben lohnt. - Und Jesus sagt zu Petrus: Das hast du nicht von dir selbst, Petrus, das hat dir mein Vater im Himmel offenbart.
Wer ist Jesus für dich? Du brauchst die Hilfe des Vaters im Himmel, seines heiligen Geistes, um diese Frage für dich zu klären. Ich will Sie jetzt nicht provozieren, wenn ich Martin Luther zitiere, er ist ja bei manchen von euch, unseren katholischen Geschwistern, ein bisschen verpönt als Kirchenspalter, aber er hat echt gute Sachen gesagt. Z. B. in der Erklärung zum Glaubensbekenntnis: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen.“ Nicht aus eigener Vernunft oder Kraft. Du kannst nur dein Herz für Jesus öffnen, der Rest ist Sache des heiligen Geistes.
Der schwedische Bischof Bo Giertz hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: Das Herz aller Dinge. Darin erzählt er von einem jungen Mann namens Martin. Martin kommt eines Tages mit einem Freund in ein Gespräch über den Glauben. Der Freund nimmt ihn ziemlich zur Brust. "Mal ehrlich“, sagt er, „du nennst dich Christ, aber du lebst nicht christlich. Du gehst zum Gottesdienst am Sonntag, am Montag trinkst du dir einen Rausch an, am Dienstag sagst du deiner Vermieterin, dass du kein Geld hast, aber am Mittwoch hast du Geld genug, um deine Freundin ins Kino einzuladen, und am Donnerstag versuchst du sie rumzukriegen, obwohl du es gar nicht ernst meinst." Martin ist sauer. Insgesamt ist er doch ein anständiger Mensch, er kennt die 10 Gebote und ist getauft. Einige Zeit später gerät er in einen schweren Unfall, bei dem mehrere Freunde ums Leben kommen. Knapp entrinnt er selber dem Tod. Seitdem fragt er sich: Was wäre, wenn ich auch gestorben wäre? Wie stünde ich da vor Gott? Ihn packt eine große innere Unruhe, und er sucht seinen Freund auf. Der liest ihm eine Stelle aus der Bibel vor: "Sie kennen den Weg des Friedens nicht, sie sind verkehrt auf ihren Straßen, wer darauf geht, der hat nimmer Frieden". Das ist die Wahrheit, geht es Martin auf: Er hat keinen Frieden. Er hat sein eigenes Ding durchgezogen ohne nach Gott zu fragen. Inklusive krummer Wege, die er sich schöngeredet hat. Das bekennt er nun in Gegenwart seines Freundes vor Gott. Wir nennen das Beichte: Die Schuld, die Irrwege in Gegenwart eines anderen Menschen vor Gott bringen. Ihr hier in St. Michael seid eine der wenigen Kirchen, die noch regelmäßige Beichttermine anbieten, das finde ich sehr gut. Wenn ihr beichtet, dann beichtet ja nicht einem anderen Menschen, nicht dem Priester, nicht der Pastorin, sondern Gott. Jesus gibt Petrus des Himmelreichs Schlüssel: Er ist es, der Petrus bevollmächtigt. Nicht der Priester und kein anderer Mensch vergibt die Sünden. Ego te absolvo, ich spreche dich los, ja – aber im Namen Gottes! Beichte ist eine grandiose Möglichkeit um mit Gott ins Reine zu kommen, Belastendes hinter sich zu lassen und nach vorne zu gucken. Reinigung der Seele mit therapeutischem Effekt. - Also, Martins Freund hört sich seine Beichte an, legt ihm die Hände auf den Kopf, spricht ihm die Vergebung zu. Martin bittet Gott: „Komm in mein Leben hilf mir, von jetzt ab zu deiner Ehre zu leben.“ Einige Zeit später besucht Martin seine alte Mutter und erzählt ihr: "Ich bin Christ geworden." Die alte Frau schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: "Christ? Das bist du doch seit deiner Kindheit gewesen!" - "Nein, Mutter, vielleicht ein Scheinchrist. Aber ein richtiger Christ wurde ich erst im Februar dieses Jahres." Die Mutter starrt ihn ratlos an: "Wurdest du nicht als Kind getauft?" - "Getauft - das sind wohl viele. Ich meine den wirklichen Glauben und ein Leben mit Jesus Christus - das bekam ich erst im letzten Winter." Und dann erklärt Martin ihr den Unterschied zwischen einem getauften Menschen und einem Christen, der mit Jesus lebt.
So weit Martins Geschichte aus dem Buch von Bo Giertz: Das Herz aller Dinge. Jesus ist Christus, Sohn des lebendigen Gottes, dein Erlöser – das ist für Bo Giertz das Herz aller Dinge.
Was sagen die Leute? Die Leute sagen: Wenn man ein anständiger Mensch ist, ist man Christ. Lass dich davon nicht beeinflussen, denn die Grundfrage deines Lebens musst du für dich alleine klären. Und die lautet: Wie stehst du zu Jesus? Amen