Richard Gräve mit ersten Eindrücken aus seinem Freiwilligen Jahr in Chile
Sprachkurs, Frühlingsgefühle im August, Schnee in den Anden, Richard mit Zöpfen, bei Pablo Neruda, u.v.a.m.
17.08.15 – 24.08.15
Die zweite Woche:
Ich weiß gerade gar nicht, wo genau ich mit dem Erzählen anfangen soll, oder welche Woche schöner und ereignisreicher war. Ich weiß nur, dass ich das Ganze jetzt mal zu Papier bringen muss. Eigentlich würde man denken, dass ich nicht so viel erlebe, die Woche über hatte ich ja Sprachkurs. War nicht so.
Der Sprachkurs fand in der Innenstadt in der Sprachschule Tandem Santiago statt, in der Nähe der U-Bahn-Stationen Salvador und Baquedano. Pflicht sind die zwei Wochen - Sprachkurs nicht, sie werden aber stark empfohlen und ich fühle mich so auf jeden Fall wohler. Bevor der Sprachkurs begann, musste jeder einen Einstufungstest abgeben. Ich hatte meinen den Samstag vor Beginn des Kurses abgeschickt, anscheinend ziemlich gut abgeschnitten, wurde also in den „Basico 2“-Kurs gesteckt, Level 4 von 8 der Sprachschule. Morgens waren 4 Schulstunden Grammatik angesagt, nachmittags 2 Schulstunden Kommunikation. Unser Grammatiklehrer Luis war motiviert und man sah ihm an, dass er sein Fach verstand. In der Theorie kann ich jetzt alle 8 Zeitformen in der Normalform und mit Gerundium sprechen. In der Praxis beschränkt sich meine Verbesserung auf langsam gelingende Kommunikation und wachsendes Vokabular. Unsere Lehrerin am Nachmittag hieß Rutka und hat uns mit verschiedenen Themen zum Reden gebracht. Am Donnerstag und Freitag hatten wir so zum Beispiel Besonderheiten der chilenischen Sprache und Kultur als Thema. In Chile spricht man nämlich kein Spanisch, sondern Chilenisch. So gibt es auch viele Redewendungen und Vokabeln, die sich vom klassischen Spanisch unterscheiden. Auch die Kultur und Gesellschaft, kurz als konservativ, machistisch, fröhlich, emotional und stark in Klassen geteilt zu beschreiben, war Thema des Unterrichts am Nachmittag. In den Mittagspausen sind wir entweder zur Mensa der nahegelegenen Feuerwehr gegangen und haben uns für 3000 Pesos (4 Euro) ein gutes Essen geholt oder ich war mit Julien, einem anderen Freiwilligen und Freund, unterwegs. Dort haben wir am Montag in einem Restaurant nach Zufall bestellt und Leberblutwurst mit Kartoffeln und einem schönen Salat (in Deutschland heißt das glaube ich „Tote Oma“) gegessen, wobei ich seine Wurst bekam und bestimmt 600 Gramm Fleisch aß. Das war nebenbei eine gute Kompensation für die Woche davor, da wir in unserer WG vorerst vegetarisch leben. Sonst haben wir uns auch einfach ein warmes Brötchen vom Supermarkt nebenan geholt und das frühlinghaft warme Wetter genossen.
Allgemein kommt hier wohl der Frühling, das muss in Deutschland bestimmt ziemlich seltsam klingen. Wenn ich morgens um kurz nach 7 wie zu besten Schulzeiten aufstehe und um 8 das Haus verlasse, ist es zum Teil mit 5 Grad noch sehr frisch, am Nachmittag werden es aber über 20 sonnige Grad. Nur das Wochenende über wurde es eher bewölkt und auch die Temperaturen wurden weniger wechselhaft, morgens sind es nun schon bestimmt 10 Grad. Es sieht wunderschön aus, wie der Schnee der Anden am Tag trotz Smog immer zu sehen ist oder wie die Sonne langsam morgens das Tal von Santiago erhellt.
Nach der Sprachschule begannen dann die eigentlichen Erlebnisse der Woche. Am Montag ging eine Gruppe von Freiwilligen auf die „Feria Artisanal“ in Santa Lucia. Dort konnte man Kleidung, Taschen, Schmuck, Instrumente und vieles mehr kaufen. Emilia hat sich einen Rucksack mit traditioneller Bestickung und Lotta eine günstige Ledertasche gekauft.
Am Dienstag, den 18. August, habe ich mit Julia und Caro aus meiner WG das Regierungsviertel La Moneda besichtigt. Danach bin ich mit Julia noch auf den Hügel von Santa Lucia gestiegen. In der verbauten Großstadt ist dieser kleine, grüne, felsige Hügel ein faszinierender Anblick. Alte Treppen, Tore, eine Kapelle und Türmchen sind auf dem Turm gebaut. Eintritt musste man nicht bezahlen, um auf den Turm zu steigen und es waren auch kaum Leute auf dem Hügel, sodass wir auch viele schöne Fotos machen konnten, während es langsam Abend wurde. Von oben war der Straßenlärm seltsam dumpf und fern zu hören, trotzdem umgaben einen Hochhäuser, Reklamewände, ein im Smog verschwindendes Stadtbild und gen Osten die Berge. Im Dunkeln kamen wir wieder, der U-Bahn-Verkehr ist natürlich in der Rush-hour nicht anders geworden.
Am Mittwoch habe ich mir von Lotta und Debby meine mittlerweile gewachsenen Haare in der Mittagspause zu wunderschönen Bauernzöpfchen flechten lassen. Natürlich sah ich damit noch unglaublich dämlicher aus als sowieso schon, natürlich hat mich das kein bisschen gestört. Von der Schule aus habe ich so auch eine Tour durch das Nationale Geschichtsmuseum mitgemacht. Interessante Gegenstände der Ureinwohner, sowie Geschichten aus der Zeit der Conquistadores und der Militärregierung von Pinochet waren zu betrachten und zu lesen.
Am Donnerstag bin ich nach der Schule direkt nach Hause gefahren, um mich dort als Koch auszuprobieren. Da wir abends in der WG bisher eher selten kochen, wollte ich mal ausprobieren, was sich aus dem, was wir im Haus haben, machen lässt. Frei nach Schnauze habe ich Brokkoli gekocht, Rührei mit ausgehöhltem Brot und den Brokkolistängeln verlängert und das Ganze mit dem Rest des Brotes serviert. Schmeckte in Ordnung - immerhin.
Am Freitag begann dann meine erste Freiwilligenhäusertournee als Musiker in Santiago. Morgens durfte ich im Berufsverkehr meinen Wanderrucksack, meine E-Gitarre und meinen Verstärker bis zur Schule tragen. Nach der Schule bin ich mit der WG des Hauses „Madre“ in Recoleta, das Schwester Karoline vom Erbe ihrer Mutter hat bauen lassen, mitgegangen. Dort haben wir zu Abend gegessen, ich habe ein halbes Kilo Nudeln verdrückt und mir danach mit Julien, Debby, Lotta, Jana und Emilia, die mitgekommen war, einen sehr netten musikalischen Abend gemacht. Deutsche Auswanderer haben in Chile zwar einige Biermarken erschaffen, das chilenische Bier ist aber auch in Ordnung. Gegen halb 1 gingen wir ins Bett, am nächsten Tag stand eine Reunion aller Freiwilligen, die bei Cristo Vive in Santiago arbeiten, in der Zentrale von Cristo Vive in Huechuraba an. Von 11 bis 18 Uhr besprachen wir weitere Erlebnisse, mögliche Problemsituationen und hatten Zeit zum Rekapitulieren unserer Erfahrungen und Erwartungen. Zwischendurch habe ich ebenfalls mit allen etwas Musik gemacht. Gegen Abend bin ich mit Annika, Marleen und Melanie in das Haus „Alberto“ gegangen, wo sie wohnten. Hier wurde der Abend ebenfalls nudelhaltig, musikalisch und noch länger. Gegen halb 3 schlief ich ein. Am Sonntag habe ich deshalb auch die Kirche um halb 11 durch eine Besinnung im Bett ersetzt. Gegen 12 Uhr haben wir uns dann an der Kirche mit Patricio, einem junggebliebenen Chilenen und Freund von Karoline, den Annika und Marleen kennen gelernt hatten, getroffen. Zu viert verbrachten wir den Tag zuerst im Haus des Dichters und Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda in Bellavista, das beeindruckend gebaut und eingerichtet war.
Danach gingen wir über die Plaza Italia durch Parks bei Baquedano und fuhren mit dem Bus durch Santiago zu den Bergen hin nach Los Dominicos. Nun konnte man auch die Wiesen an den Berghängen erkennen. Wir schauten uns von außen ein Kloster an und gingen durch ein Touristendörfchen voller Souvenir- und Handwerksläden. Bis wir wieder im Haus Alberto, wo ich meine Sachen gelassen hatte, angekommen waren, war es 7 Uhr. Nun noch bis nach La Pintana zu fahren, wäre alleine nicht unbedingt sinnvoll, deshalb beschloss ich spontan, eine weitere Nacht im Haus Alberto zu verbringen. Weil wir alle müde waren, schliefen wir diesmal früher, zum Abendessen hatte Melanie leckere Kartoffelpuffer gemacht.
Heute, am Montag, genau zwei Wochen nach meinem Abflug aus Deutschland, begann für die Freiwilligen, die vor uns angekommen waren, schon die Arbeit. Wir haben jetzt noch eine Woche Sprachkurs. Ich werde mich demnächst mal auf die Suche nach ordentlichem Sportangebot oder einem Sportplatz machen und mir das Fahrrad, das bei uns im Patio (Gärtchen) steht, näher angucken. Auf den Zumbakurs, den die Mädels aus meiner WG ab und zu machen, habe ich erstmal nicht unbedingt Lust. So, wie es jetzt läuft, kann es weiter gehen, ich hoffe, dass die ganzen Ereignisse in meinen Kopf passen, als Ventil gibt es ja unter anderem diese Berichte.
Meine Adresse in Chile ist übrigens:
Richard Gräve
Fundacion Cristo Vive
5441 Avenida Recoleta
Huechuraba, Santiago de Chile