Festgottesdienst am Tag der deutschen Einheit

Ein Fest (fast) ohne Feiernde

 

Der Tag der deutschen Einheit fiel in diesem Jahr auf einen Samstag. Ist das ein gutes Zeichen oder das Gegenteil? Die Leute haben frei, aber es sind auch die Läden geschlossen und es ist v.a. kein Markt. Kommen mehr oder weniger? Bringt der Artikel im GT was? Sollen wir bei der traditionellen Zeit um 9:00 Uhr bleiben oder lieber später anfangen?

Vermutlich wird man lange über diese und ähnliche Fragen nachdenken können. Letztlich waren eher weniger als an einem "normalen" Samstag gekommen, geschweige denn wie an einem kirchlichen Feiertag. Aber die Unbeholfenheit in Sachen Einschätzung was den Zuspruch angeht ist nur ein Problem - es gibt noch Umfassendere: Ist es ein Tag des freudigen Dankes

oder des ernsten Gedenkens? Sollen die Opfer der Mauer im Focus stehen oder die, die sie überwanden? Und wo haben an diesem Tag die Flüchtlinge ihren Platz, ohne die wir uns die Nachrichten unserer Tage gar nicht mehr vorstellen können?

Es wurde ein feierlicher Gottesdienst mit Weihrauch, Messdienern und fantastischem Orgelspiel von Tobias Kerscher. Er hatte eigens Stücke eingeübt. Das schräge Orgelspiel nach der Lesung passte hervorragend zur Lesung mit ihrem Mix aus Zerknirschung und Scham. Der Prophet und Jeremia-Schüler Baruch versuchte die ultimative Katastrophe des (frühen) Judentums die Zerstörung Jerusalems mit den Deportationen damals) zu "erklären". Er tat sich so schwer wie wir heute mit unseren Katastrophen. Hubert Schmoll, selber Soldat gewesen, trug die Lesung vor und wiederholte die zentralen Aussagen Baruchs in der Predigt noch einmal.

Es gibt frappierende Parallelen von damals (597 v. Chr.) und heute (d.h. den Ereignissen um das Aufkommen des Nationalsozialismus, Krieg, Vertreibung, Mauerbau und Wiedervereinigung). Die Bewältigung einer riesigen Flüchtlingskrise (Schlesier, Sudeten, Ostpreußen...) hat den Deutschen nolens volens eine Kompetenz in Sachen Bewältigung der derzeitigen Flüchtlingskrise eingebracht, die jetzt genutzt werden muss. Wer, wenn nicht wir? Und wann, wenn nicht jetzt? Wir haben es schon einmal geschafft, warum jetzt nicht wieder? Gerade wir Katholiken sind hier gefordert: Vor dem Krieg gab es nur 4% Katholiken in Göttingen, heute 15%! D.h. die meisten Göttinger Katholiken waren "Flüchtlinge", die erleben durften, dass sie von den protestantischen Göttingern aufgenommen wurden, obwohl diese nach dem Krieg wohl genug eigene Sorgen gehabt haben dürften.

Irgendwie war der Gottesdienst hochfeierlich und gleichzeitig einfach. Man dankte und bittete. Verschiedene Themen berührten und überlagerten sich. Vielleicht war es auch von allem zu viel. Eine wirkliche Aufarbeitung über das Warum und Wie wird es wohl nie geben. Der Feiertag zur Deutschen Einheit macht es uns offensichtlich schwer. Aber vielleicht fördert eben dies die Auseinandersetzung mit ihm und seinen innewohnenden Themen.

P. Manfred Hösl SJ