DIES der pastoralen MitarbeiterInnen zum Thema "Missbrauch"
Weihbischof Bongartz, Sr. Dr. med. M. Ancilla Schulz und Dr. John G. Coughlan geben einen Überblick
Viele der gekommenen pastoralen MitarbeiterInnen (es herrschte Dienst-anwesenheitspflicht!) dürften mit gemischten Gefühlen gekommen sein. Es handelt sich ja um kein leichtes Thema und in Göttingen schon gar nicht. Um so positiver und erstaunlicher war das durch die Bank positive Fazit, das ReferentInnen und ZuhörerInnen, zogen.
Die Tagesordnung war eng getaktet - Stichworte müssen genügen: Zunächst informierte Weihbischof und Personalchef Heinz-Günther Bongartz über die Entwicklungen in Sachen Missbrauch an Schutzbefohlenen im kirchlichen Kontext unseres Bistums. Er gab zu, selber mehr oder minder überrascht, Ende Januar 2010 mit dem Thema näher konfrontiert worden zu sein, obwohl das Bistum schon seit 2002 erste Maßnahmen ergriffen hat. Damals stellte sich das Thema in Ländern wie USA oder Irland und schien in Deutschland nicht virrulent zu sein. Auch das Bistum habe lange faktisch eine Täterperspektive eingenommen und musste mühsam lernen, das Thema Missbrauch aus einer Opferperspektive zu sehen - ein Lernprozess, der noch immer nicht abgeschlossen ist. Zu lange dominierte die Sorge: Wo setzen wir auffällig gewordene Übergiffige unauffällig wieder ein? Dass damit einer Streuung von Missbrauch Vorschub geleistet würde sah man damals nicht. Der Gang an die Öffentlichkeit durch P. Klaus Mertes SJ, damals am Canisiuskolleg in Berlin, brach Anfang 2010 eine Welle los, die bis heute nicht verebbt ist und auf lange Sicht auch nicht verebben wird.
Erst schrittweise überwanden sich Opfer sexuellen Missbrauchs zu sprechen, oft erst nach 30, 40 oder noch mehr Jahren. Erstaunlicherweise fand sexueller Missbrauch besonders in den 1950er bis 1970er Jahren kulminiert statt. In anderen Ländern (USA oder Irland) gibt es frappierende Parallelen. In diesem Zeitraum schwillt die Kurve an Fällen steil an um dann wieder abzuschwellen. Warum sich die Missbrauchsfälle besonders auf diese Zeit konzentrieren weiß man letztlich nicht wirklich. Viele Gründe werden genannt, so Dr. Coughlan, aber letztlich erklären kann man sich dieses statistische Phänomen nicht. Schon eher kann man bestimmte Faktoren ausschließen. So sind nur 5% der Missbrauchstäter pädophil veranlagt. Auch kann man nicht sagen, dass der typische Missbrauchstäter psychisch krank ist. Missbrauch im kirchlichen Kontext geht nicht einher mit dem Zölibat, mit Homo- oder Heterosexualität. Gerade dass es kein einhelliges Täterprofil gibt macht die Vorbeugung so schwierig. Während im familiären Kontext und Nahbereich besonders Mädchen Opfer sexueller Übergriffigkeit und Gewalt werden, sind es im Bereich Kirche sowohl Mädchen als auch Jungen. Ein Blick auf andere Länder und die zu vermutende Dunkelziffer lassen sogar vermuten, dass es vor allem Jungen sind. Grund könnte sein, dass Jungen sich (noch) schwerer tun an Hilfspersonen zu wenden.
Wie oft bemerkt ist Missbrauch im kirchlichen Kontext gesamtgesellschaftlich ein vergleichbar selten vorkommendes Problem. Dies kann nun aber kein Grund sein auf andere Einrichtungen mit dem Finger zu zeigen, denn die moralische Messlatte liegt bei der Kirche höher und von daher ist das Entsetzen der Bevölkerung, seien es Gläubige oder Ungläubige, höher als bei anderen gesellschaftlichen Gruppen. Hier ist viel Vertrauen zu Bruch gegangen, dass man - wenn überhaupt - erst in Jahrzehnten wird wieder mühsam aufbauen können und müssen.
Sr. Ancilla, selber Fachärztin für Psychatrie und Psychotherapie, berichtete über ihre Erfahrungen mit der eingerichteten Hotline des Bistums und erklärte die Wahrnehmung von Missbrauch aus Sicht von betroffenen Kindern. Es wurden typische Täterstrategien genannt. Dabei handelt es sich meist gerade nicht um die abruppte Gewalttat, sondern das systematische Aufbauen - und Missbrauchen! - von Vertrauen, so dass schließlich sogar die Opfer selber meinen, sie seien schuld. Hier gilt es auch Kinder aufzuklären und stark zu machen. Das kann freilich kein Grund sein Kindern oder Jugendlichen eine Mitschuld am Vergehen zuzuschieben - schuld am Missbrauch bleibt allein der Erwachsene! Das bedeutet freilich nicht, dass es nicht auch Faktoren und Personen gibt, die Missbrauch begünstigen. Weihbischof Bongartz nannte als Beispiel Co-Abhängige in Sachen Alkoholismus: Bestimmte Menschen leisten nolens volens so dem Verbrechen Vorschub. Ein erschütterndes Zitat: "Der schlimmste Missbrauch war nicht durch den Pfarrer, sondern durch meine Mutter, die mir nicht geglaubt hat." Besonders ältere TeilnehmerInnen konnten diese bittere Erfahrung gut nachvollziehen und bestätigen. Der Mythos vom sakrosankten "Hochwürden" ließ Kritiker schnell verstummen!
Weitere Themen des Tages waren: Welche Präventionsmaßnahmen gibt es? Worauf soll man im pastoralen Alltag (mehr) achten? Wie gehe ich mit Informationen um, die Verdacht auf Missbrauch vermuten lassen? Wie spreche ich mit einem von Missbrauch betroffenen Kind? Welche Folgen zeitigen Missbrauchserfahrungen für die Entwicklung der Persönlichkeit, aber auch des Glaubens? U.v.a.m.
Gelobt wurde von allen TeilnehmerInnen die gute und klare Sprache der Referenten, die wesentlich zur offenen Atmosphäre beigetragen hat. Alle Dinge konnte angesprochen werden, Namen konnten genannt werden. Mehrfach wurde zurückgemeldet, dass der Dies geholfen habe eine "Sprachlosigkeit" zu überwinden und man jetzt klarer auch auf Anfragen aus den Gemeinden reagieren könne. Überhaupt sei das klare Benennen den Problems, etwa im Bereich kirchlicher Jugendarbeit, schon der erste wichtige Schritt in Sachen Prävention. Mehr Informationen über die Angebote des Bistums Hildesheim zum Thema Missbrauch finden sich auf der Homepage des Bistums, so etwa die Namen und Adressen der Kontaktpersonen und Referenten, Formulare für Anträge auf Entschädigungen, Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz, Hirtenbriefe und Elternbriefe u.v.a.m.