"Der Arzt kuriert, aber Gott heilt"
Prof. Dr. Friedrich Schöndube spricht über den Grenzbereich von ärztlicher Kunst und Glaube
Die Göttinger Citypastoral lud zu einem sehr informativen Abend mit Prof. Friedrich Schöndube, Herzchirurg an der UMG, der über seine Erfahrungen als Arzt und Mediziner im Grenzbereich Medizin-Glaube sprach und mit den gut 50 Interessierten ins Gespräch kam, darunter offenbar viele mit medizinischen Kenntnissen, sei es als Ärzte, Krankenpersonal, Besuchsdienste oder Patienten. Regina Möhring begrüßte den Referenten sowie die Gäste und übergab dann das Mikrofon an Prof. Schöndube.
Zunächst erzählte der Referent über seinen Werdegang. Er kommt von Haus aus eher aus der Physik und wandte sich erst später – fasziniert von den damaligen neuen technischen Möglichkeiten – der Medizin zu. Auch der Schwiegervater, ein Kinderarzt, hat dazu beigetragen. Als 1975 der Lehrstuhl für Herzchirurgie geschaffen wurde war dies die optimale Stelle. Friedrich Schödube ist evangelisch-lutherisch erzogen worden und interessierte sich zeitlebens für ethische Fragen und soziale Werte. Ein wichtiges Lebenslernziel wurde für ihn Demut.
Als Leitbilder auf seinem Weg nannte er drei Gestalten:
1. Zunächst Hippokrates, den Ahnherrn der eigentlichen Medizin (jenseits von Alchemie). Auf ihm fußt die die medizinische Ethik wesentlich, etwa mit der ärztlichen Schweigepflicht oder dem Gebot der Empathie (der Arzt muss auch „Feinde“ heilen wollen…). Auch die Wichtigkeit von Hygiene geht auf Hyppokrates zurück.
2. Die zweite wichtige Figur für den Referenten war Giovanni Pico Mirandola, einer Gestalt aus der Renaissance, der die Würde und das Recht auf Selbstbestimmung beim Patienten herausschälte.
3. Der dritte im Bunde ist schließlich Immanuel Kant mit seinem kategorischen Imperativ – im Volksmund als Sprichwort bekannt: Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem andern zu.
Glaube, so Prof. Schöndube, kann helfen, sei es dem Patienten, sei es dem Arzt. Er kann (!) dazu motivieren auf Heilung zu hoffen, nicht zu resignieren, kann aber auch das Gefühl schenken – wie immer es ausgeht – "geführt" zu werden, was ebenfalls sehr hilfreich sein kann. Freilich kann Glaube auch ambivalent werden, falsche Hoffnungen wecken, Druck aufbauen statt zu nehmen, u.ä.
Als Arzt bekommt er von seinen Patienten oft einen riesigen Vertrauensvorschuss, auch wenn dieser in den letzten Jahren leicht abzunehmen scheint. Offenbar informieren sich viele Patienen über Internet jetzt selber besser oder es wächst sogar ein leichter Argwohn gegen die „Halbgötter in Weiß“. Interessant war zu hören, dass eine beruhigend einredende Putzfrau („Die machen das schon…“) manchmal mehr bewirkt als der fachmännische Rat der eigentlichen Protagonisten.
Insgesamt hat der technische Fortschritt in der Medizin einen regelrechten Siegeszug abgehalten, was aber nicht bedeutet, dass es nicht noch Desiderate gibt. Und leider ist mit der Abnahme der Sterblichkeit eine Zunahme der Erwartung verbunden: Wenn der Patient dann doch verstirbt, ist es oft schlimmer als früher, wo dies „normaler“ war. Dennoch – so der Referent – musste er bislang noch keinen Rechtsschutz in Anspruch nehmen, weil Angehörige ihn verklagt hätten, wenn ein Patient doch noch verstorben sei.
Sein wissenschaftliches Interesse richtete sich in seinem Leben v.a. auf die immer besseren Herzpumpen und auf die damals noch in den Kinderschuhen steckende Herztransplantation. Besonders bei letzterer stellen sich bald große ethische Anschlussfragen: Wer kriegt das vorrätige Spenderherz und wer hat das Nachsehen? Früher entschied dies oft der behandelnde Arzt, heute fällen Gremien diese Abwägungsentscheidung.
Wichtig für Friedrich Schönhube in seiner Profession sind dreierlei:
* Empathie (die freilich nicht zu großer Sorge oder gar ins Burnout münden darf!),
* Mut (der aber nicht zum Übermut degenerieren darf!) und
* Demut (der letztlich den Arzt vor Selbstüberschätzung bewahrt!).
Ebenfalls wichtig erscheint ihm Ehrlichkeit am Krankenbett, die freilich komplizierter ist als man gemeinhin denkt. Die hingeknallte „Wahrheit“ ist nicht nur seelsorgerlich, sondern auch medizinisch nicht immer das Beste.
Nach einer Dreiviertelstunde höchst informativ vorgetragenem Erzählens beantwortete Prof. Schöndube noch eine Stunde lang Fragen aus dem Auditorium. Ob der Glaube beim Sterben helfe?, etwa. Insgesamt konstatiert der Mediziner einen hohen Bedarf an spiritueller Nachfrage. Gleichzeitig hat sich Religion aber auch sehr ausdifferenziert, so dass es auch unübersichtlicher geworden ist. In einem Krankenzimmer kann ein frommer Mensch, der gerne den Pfarrer sprechen möchte neben einen erklärten Atheisten liegen, der dies nun überhaupt nicht möchte. Es gibt auch Muslime, Agnostiker u.a. – es ist nicht leicht dies beim Eintreten ins Krankenzimmer gleich wahrzunehmen und so spontan richtig zu agieren. Deshalb müssen die Krankenbesuchsdienste unbedingt geschult werden, damit diese die Ärzte und Pflegekräfte ent- und nicht womöglich gar zusätzlich belasten.
Eine ambivalente Sache sind auch Patientenverfügungen. Gut ist, wenn sie vorliegen, aber derselbe Patient kann dann in der konkreten Stunde dann doch noch die Meinung ändern, weil man es sich als Gesunder eben nur begrenzt vorstellen kann, was man will, wenn man (tod-) krank ist. Nicht leicht für den Arzt, der prinzipiell immer Anwalt des Lebens sein soll, hier verantwortungsvoll zu agieren. Manchmal, so der Referent, scheinen die Angehörigen das Ableben gar beschleunigen zu wollen, damit das möglichen Erbe nicht von langen Pflegekosten aufgezehrt werden kann.
Auf die Frage, ob ein Patient den ihn behandelten Arzt fragen sollte, ob er für ihn beten möchte, gab es unterschiedliche Einschätzungen. Eine im Besuchsdienst tätige Frau riet stark dazu. Dr. Schöndube ebenfalls, merkte aber an, dass seiner Einschätzung nach dem wohl aber nur wenige Kollegen nachkommen würden. Aber es besteht die Hoffnung, dass diese dann die Klinikseelsorge einschalten. Seiner Ansicht nach gebe es im Kollegenkreis noch viel zu wenig Gespräche über das Grenzgebiet von Medizin und Glaube. Als Mitglied der Ethikkommission erreichen ihn hier kaum Anfragen aus dem Kollegenkreis. Manche flüchten sich sogar in eine Art Zynismus, der letztlich die Funktion der Selbstentlastung hat.
Es war ein wunderbar informativer und auch kurzweiliger Abend, was sicher auch an der leicht verständlichen Sprache des Referenten lag, aber auch an den sehr guten Fragen aus dem Auditorium.
P.S.: Im Original lautet der Satz des Hippokrates laut Prof. Schöndube: Der Arzt kuriert, aber die Natur (nicht: Gott) heilt…