Saving Grace – Heinrich Detering über die „religiöse Phase“ des diesjährigen Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan
Eine subjektive Einschätzung von P. Manfred Hösl SJ
Kenner meinten, er sei schon lange Knocking on Oslos Door - in diesem Jahr hat es bekanntlich tatsächlich geklappt: Bob Dylan erhielt den Literaturnobelpreis. Prof. Heinrich Detering kennt den Musiker seit vielen Jahren und porträtierte seine „religiöse Phase“. Aber gibt es die überhaupt?
Bob Dylan ist einer der schillerndsten Musiker überhaupt. Nur wenige sind so lange wie er im Geschäft, haben so oft ihren Stil gewechselt und sind sich doch treu geblieben. Drei Alben werden manchmal als seine "religiöse Phase" bezeichnet: Slow Train Coming (1979), Saved (1980) und Shot of Love (1981), das freilich schon wieder „weltliche“ Songs enthält.
Wie immer macht Dylan keine halben Sachen: Nach seiner Bekehrung sang er keine seiner alten Songs mehr und spielte nur noch religiöse Songs. Die Reaktion des Publikums schwankte zwischen den extremen Polen „Amen!“ und „Rock’n’Roll“ (statt Gospel…).
Die "religiöse Phase" fiel in den Beginn der Reagan-Zeit, in der die religiöse Rechte und die Moral Majority immer stärkeren Anklang fanden. Wann war sie zu Ende? Mit "Shot of Love"? Heinrich Detering meinte, dass erst mit "Time out of Mind" (1997) die "religiöse Phase" endete. Also wenn überhaupt erst nach 16 Jahren!
Dylan meinte es also ernst – ein Muster, das sich bei ihm durchzieht: Dylan ging alles stets sehr impulsiv und radikal an. Wie ein Schwamm saugte er, wenn schon denn schon, alles auf. So z.B. sein Wechsel von der Folk-Akustik-Gitarre zur E-Gitarre. Wenn eine neue Phase in seinem Leben sich andeutet, verschwindet er von der Bildfläche, verbringt eine Zeit der Inkubination und ist dann wieder da: neu und anders! Zu dieser Persönlichkeitsstruktur gesellt sich jetzt noch ein "pietistisches Bekehrungsschema", wie man es besonders aus Amerika kennt: Ein gottloser Sünder bekehrt sich à la Saulus zum Paulus, verbunden mit vielen Tränen der Reue, radikalem Sündenbekenntnis und totaler Umkrempelung ("I changed my life totaly..."). Wichtig ist, dass alles real ist und gefühlt werden kann, wann und wo man "wieder geboren" ist (born again). Ein einfaches, gar nur äußerliches Ritual oder Sakrament reicht da nicht.
Dylan folgt diesem Schema mutwillig und bis ins Detail. Man könnte jedem Element des Bekehrungsschemas Zitate aus seinen Songs zugesellen, so dass der Eindruck entstehet, dass Dylan bewusst die Erfüllung des Schemas ansteuerte. So scheint er regelrecht entäuscht gewesen zu sein, dass "Slow Train Coming" v.a. musikalisch so einschlug – er bekam dafür seinen ersten Grammy! Wahrscheinlich habe er sich eher einen Reinfall ersehnt! Der sollte dann aber mit „Saved“ kommen, das selbst die gutwilligsten Fans verprellte, schon allein wegen des kitschigen Albumbildes. Der Musik dieser LP wird freilich – so H. Detering – Unrecht getan. Es ist seiner Meinung nach ein hervorragendes Album.
Die drei religiösen Alben bieten die ganze Palette musikalischer Möglichkeiten: Soul / Funk / Gospel (Slow Train Coming), Orgelmusik (Saved) und der gute alte Rumpelrock auf dem Übergangsalbun „Shot of Love“. Jetzt hatte Dylan seinen religiösen Rappel hinter sich – so nicht wenige Fans. Aber ist dem so?
Heinrich Detering meint, dass die Bekehrung schon vor der Bekehrung begann und noch andauerte, als sie (allgemein betrachtet) vorrüber war. Seine Bekehrung sei - so H. Detering - viel mehr ein "Eindringen in etwas, was er vorher schon lange umkreist habe". Auch später kommen religiöse Metaphern und Texte vor, so auch auf „The Tempest“ (2012), wo Dylan einer Marienfigur das Wort redet. Früher traute man ihm Religion nicht zu, obwohl sie "da" war. Und später, als man seinen „Spleen“ zu Ende glaubte, war Dylan z.T. explizit religiöser als man in breiten Kreisen wahrnimmt. Der "langsame Zug" (Slow Train!) war früher los gefahren als man meint und tuckerte länger als man glaubt. Geändert hat sich nicht der Inhalt als vielmehr der Ton: Dylan legte seinen missionarischen Ton ab, aber in der Sache ist Dylan in religiöser Sicht konstanter als man meint.
Regina Möhring von der Citypastoral hatte den Referenten zu Beginn kurz vorgestellt und läutete jetzt die kurze Fragerunde ein, in der u.a. das bockige Verhalten Dylans angesichts der Nobelpreisvergabe angesprochen wurde. Für Detering kommt dies freilich nicht wirklich überraschend. Dylan wollte nie der Held sein und immer dann, wenn man ihn dazu machen will, entzieht er sich oder lässt den Auftritt platzen. Das war bei allen Preisverleihungen so. Im günstigsten Fall erduldet er sie, wie man z.B. 2012 bei der Verleihung der Presidentiel Medal of Freedom unschwer sehen kann.
Was aber nicht heißt, dass Dylan den Nobelpreis nicht verdient habe, weil er ja nur Musiker sei. Paul Gerhard sei auch „nur“ Musiker gewesen, aber seine Texte kennen und schätzen heute immer noch Millionen.
Fazit: Heinrich Detering schaffte es diesen sperrigen Musiker auch denen nahe zu bringen, die ihn (noch) nicht kannten. Und vielleicht ist Dylan mit seiner Religiosität für unsere Zeit typisch: Das Leben spielt in „Phasen“ und „Lebensabschnitten“. Da gibt es intensivere und lockere Zeiten. Aber vielleicht ist - wie bei Bob Dylan - auch mehr Kontinuität da, als man meint…