Heike Schmoll (FAZ) interviewt den hiesigen Kirchengeschichtsprofessor Thomas Kaufmann
Deftige Wortwahl und steile Thesen, ganz im Jargon des Reformators...
Das Reformationsjubiläumsjahr nimmt so langsam an Fahrt auf! Am Freitagabend gab es in der prall gefüllten Nikolaikirche ein deftiges Interview von Heike Schmoll (FAZ) und Prof. Thomas Kaufmann, Reformationsexperte der hiesigen Theologischen Fakultät. Thomas Kaufmann las zunächst ein paar Seiten aus seinem aktuellen Buch, ehe er dann den Fragen von Heike Schmoll zur Verfügung stand. Zumindest in Gestus und Wortwahl näherte sich Kaufmann passagenweise durchaus dem deutschen Reformator der ersten Stunde an…
Kaufmann stimmte der Einschätzung Schmolls weitgehend zu, dass die Reformation mehr in seinem europäischen Kontext gesehen werden müsse und von der deutschen Verengung befreit werden müsse. Das lange 19. Jahrhundert hatte aus Luther einen (National-) Helden gemacht, der bis heute noch nachwirkt. Während es beim letzten Jubiläum 1983 – damals noch in den beiden Deutschlands – auf östlicher Seite wenigstens den Versuch gegeben habe, Luther in einem weiteren Kontext der (sozialistischen) Geschichtsbetrachtung zu sehen, scheint man dieses Mal gar auf einen schwarz-rot-goldenen Luther zuzugehen, der zwischen Held und Kitsch zu enden droht. Der wissenschaftliche Beirat, den die EKD zu Jubiläumsjahr eingesetzt hat, bildet nach Kaufmann nur ein „Feigenblatt“, kritische Theologen seien nicht erwünscht. Das Jubiläumsgebaren sei an „inhaltlicher Entleerung“ nicht mehr zu überbieten und das kommende Jahr mit seinen Feiern werde wohl das „letzte Reformationsjubiläum“. Frau Schmoll ahnte schon, dass der Kirchengeschichtler kein Blatt vor den Mund nehmen würde und hob sich die entsprechenden Fragen bis zum Schluss auf. Neben der Einholung der verloren gegangenen europäischen Dimension war es laut Kaufmann auch die bis dato enorm gestiegene Rolle der Publizistik. Während die deutschen Schriften Luthers starke Verbreitung fanden – und auch heute fleißig rezipiert werden – führ(t)en seine internationalen (lateinischen) Schriften eher ein Schattendasein. Diese Schriften müssten neu entdeckt werden, um raus aus der deutschen Verengung hinein in eine europäische Weite zu gelangen. Eine weitere Frage der FAZ-Journalistin war: Warum führt Philipp Melanchton so ein Schattendasein? War er doch z.B. in Sachen Kenntnisse der griechischen Sprache kompetenter als Luther. Aber, so Kaufmann, Luther war einfach griffiger – gerade auch in den heute allseits beklagten Bereichen. Gegen Luthers Sprachgewalt kann der fleißige, gemäßigte, aber eben auch etwas dröge Melanchton nicht ankommen. Luther „schreib um sein Leben“ und er ist „der einzige Ketzer, der überlebt hat“, so der Kirchengeschichtler. Er verstand es „schamlos“ und „genial“ die Medien von damals auszunutzen. Ob nun der berühmte Thesenanschlag an die Schlosskirche stattgefunden hat ließ Kaufmann offen. Anschläge an Kirchen waren damals eine ganz übliche Form der Nachrichtenverbreitung. Die Konzentrierung auf das „Wort als exklusiven Kommunikationsakt“ ist durchaus bei Luther grundgelegt. Luther war ein Skeptiker in Sachen Bilderdrucke (aber auch sonstiger Bilder), aber er war kein Bilderstürmer. Und er war ein Mensch, der den Zeitgenossen eine Menge an Mündigkeit und Urteilsfähigkeit zutraute. Während damals breite Kreise dafür waren den Koran als glaubensgefährlich zu verbrennen, war Luther dafür den Koran zu drucken. Lasst die Leute den Koran selber lesen, dann werden sie schnell erkennen, was es mit ihm wirklich auf sich hat, so der Reformator. Was sind die Errungenschaften der Reformation, so Heike Schmoll gegen Ende der gut einstündigen Veranstaltung? Kaufmann nannte drei Punkte: Zum einen die Entkoppelung von Kirche und Kunst – Kunst sollte fortan nicht mehr eine Funktion der Kirche, sondern eigenständig sein. Zum anderen war es die Reformation, die die Musik und v.a den Gemeindegesang ankurbelte, den auch Katholiken nicht missen möchten. Und schließlich zeigen sich die Konsequenzen auf dem Gebiet des Rechtes, der Mündigkeit des einzelnen, die auch Kaufmann als Staatsbeamter gerne in Anspruch nimmt, sich selbst freilich als kritisches, aber dennoch loyales Glied der Kirche sieht. Regelrecht aufregen konnte Kaufmann sich dann über die Klischees in Sachen Reformationsjubiläum. Das anvisierte „Christusfest“ oder die eben erfolgte gemeinsame „Pilgerreise“ der Bischöfe beider Kirchen hält er für „lächerlich“ und kann „hier keine richtige Ernsthaftigkeit“ erkennen. Damit kreidet er seiner evangelischen Kirche eine Profillosigkeit an. Jetzt wäre freilich spannend zu erfahren, worin denn das protestantische Profil heute liegen könnte. Aber vielleicht muss man da ja einfach nur sein Buch lesen… Kritik an der Feierpraxis des Jubiläumsjahres übt Kaufmann auch in anderen Medien, z.B. in IDEA.