1200 Jahre in (fast) 120 Minuten!

Dr. Thomas Scharf Wrede präsentiert informativ und unterhaltsam unsere Bistumsgeschichte

 

 

Dr. Thomas Scharf - Wrede ist Bistumsarchivar. Er kennt wie sonst wohl kaum einer die Geschichte des Bistums Hildesheim und er kennt jede Menge Dokumente, die Auskunft über sie geben. Er scheint sie alle einzeln studiert zu haben. Jedenfalls sucht man einen Hänger bei ihm vergeblich, im Gegenteil: Die Verkürzung von 1200 Jahre Bistumsgeschichte auf immerhin fast 120 Minuten Vortrag scheint ihm schier unverantwortlich zu sein, obwohl er diese bewundernswert meistert.

Nach der Ausstellungseröffnung gestern konnte er heute etwas ausführlicher die Entwicklung des Bistums darstellen, die man derzeit auf 14 Tafeln im neuen Rathaus lesen und sehen kann.


Den Startschuss gab Ludwig der Fromme A.D. 815. Von ihm berichtet die berühmte Rosenstrauchlegende. Eine vergessene Reliquie schien beim Wiederfinden im Geäst eines Baumes wie festgeklebt und nicht mehr entfernbar... dieser Ort muss spirituell sein! Man baute ein Gotteshaus. Aber schon wenige Jahre später baute der 4. (von bis heute 70!) Bischof von Hildesheim, der Hl. Altfried, einen größeren, neuen Dom. Das sollte typisch sein für das Bistum: Immer gab es Neues und Neuerungen. So ist die derzeit offiziell proklamierte lokale Kirchenentwicklung keine Neuheit, sondern seit Jahrhunderten Kontinuität im Bistum.

Dennoch gibt es markante Typen, die sich verewigt haben, wie z.B. die Heiligen Bernward und Godehard. Ersterer hat sich in der theologisch einmaligen Bernwardstür im HI-Dom verewigt (auch seine nicht minder geniale Säule, lange in St. Michaelis, jetzt im neuen Dom). Der Bayer Godehard setzte einen anderen Akzent und verbreitete das Christentum mehr auf dem Land, d.h. im Stift. Er baute noch zu Lebzeiten 30 Kirchen. Der Dritte im Bunde, der Bischof Hezilo baute, nach einem Brand 1046, einen neuen Dom auf den Ruinen des Altfried-Domes und steuerte den nach ihm benannten Leuchter bei, der bis heute im Kirchenschiff des Domes hängt.

Interessant ist, dass das Bistum Hildesheim eigentlich immer weniger durch seine Bischöfe, als vielmehr durch seine Domkapitel regiert wurde. Erstere waren nur Episode, in Wahrheit hatte das Domkapitel die Hosen an – übrigens bis 1929 als das Konkordat unterzeichnet wurde.

Vieles soll hier nur in Stichworten angedeutet werden: Der verwegene Kämpferbischof Berge, der eine verloren geglaubte Schlacht gegen die Brauschweiger mit dem Gründungsreliquiar wendete, der Quedliburger Rezess von 1523 oder die Reformation in Hildesheim ab 1542. Bischof Berhard von Olburg holte, um der zu erdrücken drohenden Reformation zu trotzen, die bayrischen (und katholischen!) Wittelsbacher ins Land, die immerhin für 200 Jahre den Bischof stellten.

Auch die Jesuiten haben ihre Spuren hinterlassen. Sie übernahmen die Domschule und brachten sie zu neuer Blüte. Bis zum Aufkommen des modernen, richtigen Priesterseminars 1834 sollte das bis heute bestehende Josephinum die priesterliche Kaderschmiede von Hildesheim sein.

Erst seid ca. 1824 hat das Bistum ungefähr die heutige Größe. Vorher war es viel kleiner. Und erst seit diesem Zeitpunkt gehört Göttingen zum Bistum HI. Freilich waren Göttingen im Süden, Hannover, Celle und Hamburg lange Zeit die einzigen Orte, an denen katholische Kirche institutionell anzutreffen war.

Ein markanter Einschnitt in der Bistumsgeschichte war, so Dr. Scharf-Wrede, Bischof Eduard Jakob Wedekin, ein Mann, der die Zeichen der Zeit erkannte und danach handelte. Er war es, der die Vinzentinerinnen ins Bistum holte: das Bernward Krankenhaus war ihr erstes Tätigkeitsfeld. 1865 übernahmen sie (Alt-) Maria Hilf in Göttingen – das Haus, das jetzt als Pfarrhaus dient.

Die Pfarrer vor Ort hatten übrigens lange zwei parallele Jobs: Sie mussten die Sakramente spenden, aber sie mussten auch in den jetzt entstehenden Volksschulen unterrichten. Und wenn sie mal wieder auf Betteltour für ihre Kirche oder Ihren Unterhalt gingen, dann musste eben die Pfarrhaushälterin als Unterrichtskraft einspringen.

Nach dem Kulturkampf, der zwischen Bismarck und Rom, vor Ort aber auch durch den Zentrumsabgeordneten Windhorst geprägt war, schossen die katholischen Vereine wie Pilze aus dem Boden. Der Katholizismus wuchs im XXL-Format. 1824 fand zum ersten Mal ein Katholikentag in der Diaspora, in Hannover statt. Dort gab es zum ersten Mal eigene Veranstaltungen für Frauen.

Pfarrer Maxen (1867 – 1946) war der Wegbereiter moderner Seelsorge und Urahn dessen, was wir heute Cityseelsorge nennen könnten: Die Kirche muss zu den Menschen! Sein konstruktiver Widerpart war Konrad Algermissen (1889-1964) der nahe bei den Menschen Kirchen baute! Er wollte – damals revolutionär – weg von den Vereinen, hin zur Pfarrei!

Der Nationalsozialismus ist ein ganz eigenes Kapitel. So war Bischof Godehard Machens ein leidenschaftlicher Verfechter der katholischen Bekenntnisschulen. Und auch wenn ihm eine Schule nach der anderen dicht gemacht wurde – jedes Mal hat er aufs energischste schriftlich und mündlich protestiert!

Am 22.3.1944 wurde der Hildesheimer Dom im zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. Freilich nicht nur er, sondern auch viele Häuser und Firmen. Schon bald sollte Friedland in aller Munde sein.

Jetzt ging es zahlenmäßig, auch und v.a. durch die zugezogenen Schlesier exponentiell nach oben: Kirchen wurden, mit den wenigen Mitteln, die die Leute hatten, aus dem Boden gestampft. Der Wohldenberg wurde zu dem Anlaufpunkt für ganze Generationen von Jugendlichen. Es gab viele Notkirchen und es gab die „fahrende Kirche“: Kirche im Bauwagen unterwegs im Land! Übrigens nicht selten mit Unterkunft in evangelischen Kirchen.

Bischof Heinrich Maria Janssen (1907-1998) war der erste Bischof, der aktiv sowohl auf die Landesregierung als auch auf die Fabrikbesitzer zuging. Die Veränderungen mündeten im II. Vatikanischen Konzil und dessen lokaler Umsetzung, der Hildesheimer Diözesansynode von 1968/69, an der zum ersten Mal auch Laien mitmachten. Josef Homeyer, beim Konzil als Theologe dabei, setze dann ganz eigene Akzente, etwa in der Bolivienpartnerschaft oder dadurch, dass er – damals belächelt, heute gefeiert – die Benediktinerinnen nach Marienrode holte.

Fazit: Vieles, was heute modern daherkommt ist ein alter Hut. Unsere Vorfahren standen vor nicht minder steilen pastoralen Herausforderungen wie wir heute. Und sie haben sie gemeistert...